27/2/2020 0 Comments Blog #9 - Die Flucht ins ParadiesChina, Guangdong Provinz, Shenzhen Es ist Donnerstagabend, leicht regnerisch. Wir schreiben die Zeit kurz nach 22:00 Uhr. Ausgehungert und ausgemergelt (leicht dramatisiert) erreiche ich die letzte Metrostation in Qinghu. Sofort steuere ich in einen der letzten noch offenen Take-Aways. Es ist ein Burgerladen - nichts Besonderes. Die restlichen Lokalitäten sind entweder bereits das Fest der Ratte am Zelebrieren oder wegen dem Corona-Virus geschlossen. Mit einem freundlichen „Ni Hao“ versuche ich die Dame hinter der Theke in ihrer Landessprache zu begrüssen. Mein Magen knurrt. Also knurre ich zurück. Bald würdest du gefüttert werden, verspreche ich ihm. Speisekarte mit Bilder Dann nahm die Geschichte ihren Lauf. Ich starrte sofort auf die Speisekarte, welche direkt auf der Theke griffbereit lag. Die Bilder darauf halfen mir sehr. Die Dame redete munter auf mich ein. Ob sie meine Begrüssung derart elektrisierte? Also schaute ich nochmals auf und gab erneut ein „Ni Hao“-Laut von mir. Dabei hob ich meine rechte Hand, um dem gesprochenen Wort noch etwas Symbolik zu verleihen. Das funktionierte ausgezeichnet. Sie lachte und sprach gleich danach noch viel mehr mit mir. Im Hintergrund wirbelten die Burger-Falter herum. Flink rannten sie um den grossen Grill. Einer polierte mit einem Lappen die Seitenwände. Dann richtete sich mein Blick erneut auf die verschiedenen Burger-Optionen. Die Dame hinter der Theke verstummte aber nicht. Gäbe sie mir nur 20 Sekunden Zeit, ich würde meinen Finger auf einen der Burger setzen und alle Probleme (von uns beiden) wären gelöst. Chinesische Beschallung Sie gab mir aber keine 20 Sekunden. Und weil ich sie nicht einfach ignorieren konnte, musste ich eben nochmals aufschauen. Sie sagte etwas und winkte mir zu - mit beiden Händen. Echt jetzt? Dachte ich. Nochmals? Ich tat es nochmals: „Ni Hao“, sagte ich. Dabei winkte ich höflich zurück - ebenfalls mit beiden Händen. Dann brach sie - und die Köche, welche ebenfalls die Köpfe über den Grill reckten - in lautes Gelächter aus. Also winkte ich den ihnen ebenfalls zu. Nochmals Gelächter. Wahnsinn - dachte ich. Wie einfach man hier die Leute zum lachen bringen kann. Kurz und schmerzlos werde ich nun auf einen dieser Burger zeigen. Im gestressten Ausscheidungsprozess entschied ich ich für den Burger Hawaii mit Ananas. Als ich den Finger auf das Bild setzen wollte, nahm sie mir die Menükarte weg. Nun gingen bei mir sämtliche Lichter an. Und im Restaurant alle Lichter aus. Auch ihr ständiges Winken mit beiden Händen ergab nun plötzlich einen Sinn. Hungrig zottelte ich aus dem Burgerladen und fand mein abendliches Futtermal etwas später dann doch noch in einer anderen Ecke vom Quartier. Abenteuer Nahrungsaufnahme Dass die Suche nach einem passendes Futterloch täglich ein Abenteuer sein kann, habe ich in China nun schon oft erlebt. Es gibt einige Restaurants, die haben einen sogenannten QR-Code in der Mitte vom Tisch eingebaut. Setzt man sich also an den Tisch, scannt man den Code mit dem Smartphone. Die Menükarte öffnet sich. Man wählt die Gerichte und Getränke - und bezahlt gleich mit WeChat oder Alipay. Ein paar Minuten später wird die Fledermaus-Suppe (Symbolgericht) serviert. Die Kommunikation mit dem Personal entfällt. 棒棒麵 Die Bandbreite zwischen unfassbar gut und unfassbar kurios ist wirklich atemberaubend in China. Das wahrscheinlich beste Nudelgericht der Welt (Biángbiáng-Nudeln) habe ich irgendwo im Nirgendwo gegessen. Speziell sind auch die Schriftzeichen. Die Anzahl der Striche lasse ich euch selbst zählen. Wer die richtige Antwort hat, kann mich gerne kontaktieren. Mit etwas Glück gibt es eine Topfpflanze zu gewinnen. Der Computer kann derart viele Striche nicht oder nur ungenügend anzeigen, daher behilft man sich oft mit phonetischem Ersatz wie 棒棒麵. Metrofahrt mit Corona Angezeigt wurde bei mir eines Tages aber etwas anderes. Das ging so: Meist war ich wie eh und je unverwüstlich entweder im Büro oder auf Erkundungstour in dieser menschenleeren Mega-Metropole. Die Gefahren vom Virus - leidenschaftlich wegignoriert. Es geschah während einer routinemässigen Temperatur-Kontrolle an der Metrostation "Shenzhen University". Zuerst wurde mein Rucksack durch die Scanning-Röhre gelassen. Hinter der Apparatur und den drei Bildschirmen langweilten sich sage und schreibe sieben Chinesen in makelloser Uniform. Bei Kontrolle 157 geschah es... Einer davon nahm mir die Temperatur auf der Stirn. Gerne hätte er auch mal meine Nase untersuchen können, schliesslich war die noch feurig von meinem letzten Mahl. Dann völlig unerwartet - grosse Aufregung. Einer schrie etwas. Hitzige Diskussion setzte ein. Der Mann mit der Temperatur-Pistole versuchte verzweifelt mit mir zu kommunizieren. Die Aufregung aller beteiligten liess nur das schlimmste Befürchten. Ok - dachte ich, Corona hat mich erwischt. Das war's. Aus und vorbei. Feierabend. Mit dem Schicksal Roulette gespielt. Das Glück zu sehr herausgefordert. Das war die Eine Metrofahrt zu viel. In welches abgelegene Lager werde ich nun wohl transportiert werden? Dann - noch mehr Verwirrung. Der Rucksack? Was damit ist? Fragende Blicke überall. Google Translate? Ich öffnete meinen Rucksack. Computer, Sportkleider und Deo. Ah, die Deo-Büchse? Gott, eine derartige Aufregung für nichts? Man hätte auch einfach auf den Rucksack zeigen könne. Vielleicht wollten sie auch einfach mal wieder etwas Arbeit, schliesslich war ich beinahe der einzige Fahrgast. Deo, Corona Imaginare, und ich konnten alle weiterreisen. Aus dem Staub gemacht Als immer mehr Airlines die Flugverbindungen einstellten, nahm ich mit allen zuständigen Personen in meinem Umfeld Kontakt auf. Ich sprach mit der Vermieterin, der Schule, WeWork, meinem Fitness und einigen Kollegen vor Ort, um die Stornierungsbedingungen zu klären oder nach Alternativen zu suchen. Der Österreicher aus WeWork war zu diesem Zeitpunkt bereits abgedampft. Also machte ich mich langsam aber sicher ebenfalls daran, das Weite zu suchen. Letzter Flieger nach... Wohin könnte ich nur flüchten? Ich entschied mich für - *Trommelwirbel* - Manila. Flug gebucht - 2 Tage später Ankunft auf der Insel. Verändert hat sich nichts. Ich bin zurück im Paradies (leicht übertrieben). Das Pferd machte vor Freude die Pesade. Mein Game-Designer - ebenfalls noch vor Ort - bestens gelaunt. Mein mexikanischer Back-end Programmier würde bald ebenfalls einfliegen. Perfekte Voraussetzungen für eine aufregende Zeit. Das war zugegebenermassen ein etwas kurzes Gastspiel in China. Schade auch für das Visa. 15 Tage waren es total - geplant waren mindestens sechs Monate. Aber die Flucht war wohl die richtige Entscheidung. Noch auf dem Weg vom Flughafen zur Unterkunft brach die News herein, dass sämtliche Flugverbindungen von China auf die Philippinen gestrichen wurden. Das war also der buchstäblich letzte Flieger. Das war wiedermal haarscharf.
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Wer ich bin?Mein Name ist Andrin. Ich komme aus der Schweiz und stehe durchschnittlich zwei mal pro Jahrzehnt vor tektonischen Veränderungen in meinem Leben. |