25/1/2020 0 Comments Blog #6 - Die erste ErkundungstourNächtlicher Zimmerbezug Es war tiefste Nacht oder bereits früher Morgen, als ich am Zielort von dem mit Chinesen vollbesetzten Taxi abgeladen wurde. Ich bedankte mich artig und zottelte mit meinem Koffer in der Hand eine verdächtige Seitenstrasse entlang. Dabei verglich ich alle Hausfassaden mit denen auf den Fotos. Könnte sein, dass ich am richtigen Ort bin. Es könnte aber auch sein, dass ich es nicht bin. Dann knipste ich ebenfalls ein Foto der Umgebung und verschickte es an meine Vermieterin der Unterkunft. Tatsächlich kam nur Minuten später eine Tante von ihr mit einer Schlüsselkarte angerannt. Hier liegt die Betonung auf „angerannt“. Zu meiner Überraschung war der Hauseingang zum Wohnblock eine Lifttür. Davor blieb die Tante stehen. Sie schickte mich hinein, deutete mit dem Finger auf die Nummer der Karte und sprach ein paar Sätze auf Chinesisch. Dann fing sie an zu winken. Die Lifttüren schlossen sich. Ich stand im Lift - sie draussen. Das war also die Schlüsselübergabe. Alles kein Problem Der Lift lupfte mich in den fünften Stock. Hier irgendwo muss die Wohnung also sein. Sekunden bevor ich die Türe zum Apartment öffnete, vibrierte es in meiner Hosentasche. Die Vermieterin liess mich noch wissen, dass das Zimmer ein kleines bisschen anders sei als bei der Buchung präsentiert. Ich wagte mich trotzdem hinein. Dann, der erste Rundgang: Die Matratze - fast so hart wie ein Betonpfeiler. Die zwei flinken Käfer im Badezimmer - liquidierte ich mit einem gezielten Badelatschen-Schlag. Bei mir wohnt nur wer Miete bezahlt und das taten sie offensichtlich nicht. Auch ein paar andere Kuriositäten entdeckte ich auf meiner Zimmer-Safari. In einer Ecke war ein Hula Hoop Reifen und eine Yoga-Matte bereitgelegt. Auf der anderen Seite stand ein Ersatz-Reiskocher. Das Apartment war keine Katastrophe, soviel sei gesagt. Aber - und das schleckt auch keine Geiss weg - es war nicht das gebuchte Zimmer. An dieser Stelle muss ich meine hellseherischen Fähigkeiten meiner Mama loben, welche im Stile von Baba Wanga das ganze bereits vor Wochen vorausgesagt hatte. Am darauffolgenden Tag (Nachmittag/Abend) kam die eine Tante dann sogar mit einer zweiten Tante bei mir vorbei. Das Doppelpack sprach mit mir auch etwa doppelt so viel Chinesisch. Sie gaben mir ein neues Zimmer, welches dem gebuchten Zimmer schon etwas mehr ähnelte und etwas weniger Kleintiere beheimatete. Das Highlight: Die Matratze gibt beim Liegen nun sogar ein paar Millimeter nach. Morgendliche Erkundungstour Am nächsten Morgen dann wagte ich mich hinaus in die Wildnis. Ich lief einmal die Strasse hoch und dann die nächste Strasse wieder runter. Direkt nach der ersten Kurve lief vor mir eine Mutter mit ihrem Kind an der Hand. Der Knirps drehte sich um, entdeckte ein neues Wesen in seinem Viertel - und zeigte dabei mit dem Finger direkt auf mich. Hier wurde mir ein erstmals klar, was für eine Rarität ich in dieser Gegend wohl bin. So muss sich das Pferd in Manila tagtäglich fühlen. Ich wohne nun in „Qinghu“. Diese Gegend ist mit der Metro etwa eine halbe Stunde vom Stadtzentrum in Shenzhen entfernt. Weil ich die Beschilderung schlicht nicht lesen kann, war die Erkundungstour in meinem Viertel effektiv etwas schwieriger als an anderen Orten. Da laufe ich doch wahrhaftig tagelang direkt an einem riesigen Supermarkt vorbei, ohne diesen als solchen zu erkennen. Der Supermarkt hat sich nämlich in einem Untergeschoss ausgebreitet und auf dem Logo fehlte das Symbol vom Einkaufswagen oder dergleichen. Gehörlos im Supermarkt Im Untergeschoss ging dann effektiv eine neue Welt für mich auf. Bevor ich darin aber letztlich auch eintauchen konnte, wollte mich eine Angestellte noch zu einem Download der hauseigenen Supermarkt-App bewegen. Da ich nicht wusste, ob das vielleicht einer dieser Läden ohne bediente Kasse war, musste ich mich wohl oder übel auf ein Gespräch mit ihr einlassen. Dann folgten Szenen die aus einem Theater hätten stammen können. Im ersten Akt sprach die Frau direkt mal munter darauf los. Auf Chinesisch. Sie sprach ohne Punkt und Komma und als wäre ich ganz einer von ihnen. In dieser Zeit spielte ich den gehörlosen Touristen und aktivierte gleichzeitig das Übersetzungstool auf meinem Smartphone. Im zweiten Akt - und weil sie dann doch noch merkte, dass ich kein Chinesisch verstand - hatte sie die glorreiche Idee, mir das ganze aufzuschreiben - auf Chinesisch. Was sie sich dabei gedacht hatte, weiss ich bis heute nicht. Tief im Supermarkt Die nächste Verwirrung folgte sogleich. Im Supermarkt selbst war ich mir nämlich für einen kurzen Moment nicht mehr ganz sicher, ob ich hier in der Fischabteilung oder doch vielleicht in einer Zoohandlung gelandet bin. Mein tieferer Grund für den Besuch im Supermarkt war aber sowieso kein totes, halb-totes, oder halb-lebendiges Tier. Da ich unterdessen ein passendes Fitnesscenter im Stadtzentrum gefunden hatte, kämpfe ich mit einem überhöhten Bedarf an Duschtüchern. Um diese Spannung durch einen Zukauf etwas zu lindern, irrte ich nun suchend um die Regale. Doch selbst nach zwei Durchgängen konnte ich keine Tücher orten. Mit der passenden Übersetzung auf dem Smartphone bereits in den Händen, näherte ich mich einem Angestellten der Zoo - ich meine - der Lebensmittelabteilung. Dieser - hilfsbereit wie alle Chinesen mit denen ich bisher in Kontakt gekommen war - konnte mir aber nicht helfen. Auf seinem Scanning-Gerät sah er aber, dass der Artikel zwar im Angebot existierte - allerdings nur online. Dann empfahl er mir noch eine App zum Download. Er tippte mir den Namen auf Chinesisch ein und übersetzte es mit „Box a horse“. In Gedanken kurz auf den philippinischen Strassen, war ich dann aber gleich wieder zurück beim Tierpfleger. Oder beim Fischverkäufer. Auch hier bedankte ich mich höflich für den Tip, musste den Laden aber letztlich unverrichteter Dinge wieder verlassen. Knurrender Magen Nach all den Fischflossen, Hühnerfüssen und Schweineschwänzchen vor Augen, knurrte bei mir alsbald mal die Nase. Auf der Suche nach einem passenden Restaurant sah ich durch die Scheiben hindurch dieses klassische, chinesische Buffett. Zielstrebig und voller Optimismus ging ich hinein. Etwa zwanzig verschiedene Gerichte, von Gemüse bis Fleisch, waren makellos präsentiert und warteten nur so darauf verschlungen zu werden. Letztlich war es auch ziemlich einfach für mich, das Gericht auf diese Weise auszuwählen. Schliesslich musste ich lediglich mit dem Finger auf den richtigen Behälter zeigen. Kein Problem also. Ich zeigte auf das Hühnchengericht und nahm beim Essen dann die Gräte aus dem Mund. Auch die Tagessuppe, welche im Preis inbegriffen war, versetzte mich in eine Art kleine Schockstarre. Diese war nämlich derart trübe, dass ich mir nicht mehr ganz so sicher war, ob das jetzt eine Suppe oder eine Art Behälter zum versenken und aufweichen des dreckigen Geschirrs war. Erst als dann die Chinesen hinter mir angestürmt kamen und voller Zuversicht mit grosser Kelle ihre Suppenschalen auffüllten, wagte ich mich auch an den grossen Topf. Dann tauchte darin plötzlich eine Qualle auf. Es war nur eine Zwiebel. Es hätte aber sein können. Seit ich von der Fledermaus-Suppe in Wuhan gehört habe, schockiert mich hier so schnell überhaupt nichts mehr. Nächste Woche gibt es vermutlich dann eine China-Virus-Spezialedition von mir zu lesen. Ich empfehle euch daher meine Website ab diesem Zeitpunkt nur noch mit einem Mundschutz zu besuchen. Bis dahin alles Gute und wascht die Hände.
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Wer ich bin?Mein Name ist Andrin. Ich komme aus der Schweiz und stehe durchschnittlich zwei mal pro Jahrzehnt vor tektonischen Veränderungen in meinem Leben. |