Freunde, heute wird es tierisch. Aber bevor jetzt meine pensionierten Leser vor den Windows-Browsern überhastet nach der Maske greifen und panisch das Anti-Virus Programm durch den Blog rattern lassen… nein, gemeint sind nicht Käfer oder Viren, sondern Affen, Rehe und eine fiese, verirrte Schlange. Gerade letzteres hat mir einen zünftigen Schrecken eingejagt. Es geschah mitten in der Corona-Hochsaison. Tatort: Tempelberg. Die Natur war augenscheinlich gerade dabei die Zivilisation in Kyoto zurückzuerobern, während ich dagegen mit dem Gedanken spielte mich an der frischen Luft etwas auszutoben. Das birgt ungeahntes Konfliktpotenzial. Unser Airbnb lag nur gerade einen Pferdesprung entfernt von einer der populärsten Touristenattraktionen Japans überhaupt: Fushimi Inari-Taisha. Ein sagenumwobener Ort. Bekannt ist die Tempelanlage vor allem für ihre tausenden, giftroten Tore aus Holz. Diese markieren die Grenze zwischen dem Proofanen und Sakralen. Oder anders ausgedrückt - zwischen dem Unheiligen und dem Göttlichen. Wo sich normalerweise Touristen aus aller Welt die Klinke in die Hand geben, herrscht in diesen Fledermaus-Zeiten gähnende Leere. Der Haupttempel wurde direkt an den Hang des Berges „Inari“ gebaut. Eine handvoll idyllischer Wanderwege führt von verschiedenen Seiten her direkt durch den Wald hinauf zur mythischen Spitze (233 m ü. M.). Alle diese Trampelpfade wären zwar zu normalen Zeiten gelinde gesagt eine Spur belebter - aber man muss die Feste feiern wie sie kommen. Also erachtete ich es als eine weise Idee den Berg bei dieser einmaligen Gelegenheit nicht spazierend sondern gleich trabend zu erkunden. Schlange Kaa Gesagt, getan! Unmittelbar nachdem mir dieser Geistesblitz durch die Schädeldecke gestochen ist, habe ich auch ohne nur mit der Wimper zu zucken direkt die Jogginghose aus meinem Koffer gekapert, die Laufschuhe um meine Flossen gebunden und bin in frivoler Leichtigkeit den heiligen Treppen nach bergaufwärts den Wald hinauf getänzelt. Bis, ich kann es nicht anders sagen, eine seelenlose Gestalt direkt vor mir aus dem Gebüsch geschlängelt kam - und mitten auf dem Pfad in eine aggressiv-fiese Totenstarre verfiel. Hals über Kopf machte ich eine Vollbremse. Mein Puls brannte durch. Donner, Blitz, rotes Tuch, National Geographic, Steve Irwin, Annemarie, Ableben - verschiedenste Gedanken schwirrten panisch in meinem Spatzenhirn herum. Ich meine, das Ding hatte den Durchmesser einer Bratwurst. Auf die leichte Schulter konnte ich es auf jeden Fall nicht nehmen. Ich fasste mir an den Hals. Ok, Puls ist noch da. Krisensitzung - Klappe die Dritte. Das Ding schien mich jeden Moment anzuspringen. Ich wollte gerade einen riesigen Satz rückwärts machen, da viel mir auf: Das Viech hatte nicht mal eine Maske an - how dare you?! Die Fledermaus wird dich gewiss noch schnappen - dachte ich. Dann holte mich der Mann in mir wieder ein. Ein wahrhaftiger Krieger sollte ich sein und als einziger Überlebender aus dieser misslichen Lage herausfinden. Es würde nun nur noch heissen: ich oder du. Einer von uns wird sich jetzt bewegen müssen. Ich schaute diesem Riesenbiest in die giftgrünen, blutüberströmten und von Sünden gezeichneten Augen. Wenn du dich jetzt nicht auf der Stelle davonschlängelst, werde ich… Toll finde ich, dass es an diesem Berg so unfassbar viele verschiedene Wanderwege gibt, welche es alle noch zu entdecken gab und zu jedem Zeitpunkt zu einer friedlichen Erkundungstour einladen. Ich hievte die weisse Fahne, legte den Rückwärtsgang ein und freute mich, nicht verfrüht über den Jordan gegangen zu sein. Das wäre ja ein Ding gewesen, hättet ihr mein Skelett auf einem Baum oder, noch schlimmer, aus einem Erdloch bergen müssen. Da der heilige Berg ja nichts weiter als ein Jahrhunderte alter Friedhof ist, wäre mein Dahinscheiden immerhin in einem angemessenem Rahmen vonstatten gegangen. Vierbeiniger Influencer Von Vorteil wäre es wohl gewesen, einen Hund dabei gehabt zu haben. Allerdings zweifle ich, ob Schlange Kaa diesen auch als solchen erkannt hätte. In Japan, so ist mir aufgefallen, sind nämlich zahlreiche Hunde erstaunlich modisch eingekleidet. Teilweise tragen sie menschliche Pullover mit Kapuzen, schuhartige Socken oder die Feministen unter den Kötern gar kleine, farbige Röcke. Einmal begegnete ich einem Hund - nennen wir ihn stellvertretend Hund Takahiro - welcher von Kopf bis Fuss stylischer gekleidet war als ich. Da gehst du sprichwörtlich die Wände hoch. Nach dieser Schmach verabschiedete ich mich direkt in ein Ramen-Restaurant. Auf dem Weg dorthin dachte ich mir, sollte ich mal als Hund auf die Welt kommen, ist es wohl besser als Hund in einer wohlhabenden Familie auf die Welt zu kommen. O-hashi Dann wieder eine Schlange. Eine Menschenschlange. Vor dem Bestellautomaten. In den meisten Nudel-Restaurants wird die Bestellung nämlich zuerst an einem Ticketautomaten selbst eingetippt. Den Zettel übergibt man dann direkt dem Koch oder dem Servicepersonal. Sollte man etwas verloren oder verwirrt durch die Räumlichkeit schauen, ist schnell jemand zur Hilfe da. Die zahlreichen Bilder der verschiedenen Speisen helfen aber enorm. Das Bestellen stellt daher grundsätzlich keine grosse Herausforderung dar. Letztens sass ich entspannt und aufgrund des sagenhaften Essens mit Glückshormonen überschüttet vor meiner Nudelsuppe, als mir ein Angestellter aus Mitleid anbot eine Gabel zu bringen. Ich schaute etwas verdutzt auf meine versehentlich gekreuzten Stäbchen und versuchte mich zu erinnern, wie oft mir die Nudel gerade eben zurück in die Suppe entweichen ist. Das Ziel wäre es ja gewesen, diese bereits beim Ersten Versuch für immer in der Futterluke zum verschwinden zu bringen. Selbstbewusst dankte ich ihm für seine Aufmerksamkeit. Ich werde das schon packen mit diesen "Ohashis", diesen Stäbchen. Ich lehnte ab und widmete mich wieder dem Gedicht von einem Essen. Dann brachte er mir eine Gabel. Zu meiner Verteidigung muss ich aber sagen, dass mir Gabeln oft schon angeboten werden, bevor ich überhaupt den ersten Bissen runtergeschlungen habe. Womöglich hat es nämlich wirklich nichts mit meinen nicht zu unterschätzenden Fähigkeiten zu tun. Einmal lobte mich gar ein aufmerksamer Restaurantbesucher. Wo ich denn meine Stäbchen-Skills gelernt hätte? Vor lauter Freude mit mir ins Gespräch zu kommen, lud er mich und einen einheimischen Kollegen dann direkt noch auf ein Glas Orangensaft ein. Was man nicht alles erlebt hier. Seven Eleven Wunderland Auch ein Einkauf im lokalen Supermarkt kann stellenweise als kleineres Erlebnis in das Reisetagebuch eingehen. Findet man dort Getränke doch sowohl im klassischen Kühlregal wie auch in einem baugleichen Wärmeregal. Etwas ungewohnt, aber man gewöhnt sich daran. Läuft man dann weiter zur Sandwich-Theke springt einem möglicherweise ein Nudelsandwich (Brot aussen, Nudeln innen) oder ein Toastbrot-Erdbeer-Sandwich ins Auge. Beides getestet. Beides hat den Test bestanden. Sorgen um meine Figur muss ich mir als menschliche Bohne ja keine machen. Und auch der Mexikaner würde noch einige überladene Tortillas ertragen. Dann entschieden wir uns mit den öffentlichen Verkehrsmittel ins benachbarte Nara zu fahren. Die Stadt ist bekannt für ihre heiligen Rehe, welche feucht-fröhlich und ohne Rücksicht auf Verluste über die Strassen stolzieren, als würden sie ebenfalls dem steuerzahlenden Teil der Gesellschaft angehören. Als wir dann sogenannte Reh-Crackers zur Fütterung der heiligen Bambis kauften, hatten wir etwas Angst, dass die Rehe uns diese aus Mitleid gleich selbst überlassen würden. Dann plötzlich verbeugte sich ein Reh vor uns. Als wir aus purem Egoismus keinen Keks rausrückten, verbeugte sich das Reh erneut. Als wir den Spiess umdrehten und anfingen stattdessen uns vor dem Reh zu verbeugten, endete es in einer gegenseitigen Verbeugungs-Zeremonie. Aussenstehende müssen wohl gedacht haben, das es wohl besser wäre die Typen samt dem Reh in die Klapse einzuliefern. Wer jetzt aber glaubt, dass Ganze sei nur eine Erfindung oder eine Fabel dieses verlorenen Romanautors, sehe sich getäuscht. Die Rehe in Nara sind weit herum bekannt dafür, dass sie sich für einen Keks vor den Touristen verbeugen. Reh Johannes Paul 2 Besser kam es nur noch, als die heiligen Rehe mitten in der Stadt gleich selbst einen Touristen-Laden stürmten. Die Bilder dazu gibt es unten. Während sich etwa eine Handvoll dieser Gruppierung im Laden selbst tummelten und von der Besitzerin in japanischer Höflichkeit mit einem Besen wieder hinaus getrieben wurden - lungerte draussen der restliche Teil der Bande in Fledermaus-konformem Abstand herum. Diese warteten vermutlich nur darauf, bei passender Gelegenheit den Laden vollends auseinanderzunehmen. Wie integriert und angepasst die Rehe in Nara grundsätzlich aber sind, erkennt man daran, dass sie sich am Fussgängerstreifen oft dafür entscheiden erst bei Grün zusammen mit den Menschen über die Strasse zu gehen. Dies wohl aber eher aus Eigeninteresse um nach dem Aufprall nicht in einer Sushi-Rolle zu enden. Weil es bei unserem Besuch fast keine Touristen vor Ort hatte, waren die Tiere in diesen Tagen wohl ähnlich unterernährt wie wir und folglich besonders scharf auf Futter. Das spürte ich, als ich von einer ganzen Horde und dann auch noch von allen Seiten her angegangen wurde. Im Fussball hätte man von einer wüsten Rauferei gesprochen. Im Eishockey hätten gleich alle Beteiligten eine Spieldauer-Disziplinarstrafe kassiert. Nur weil ich ein paar Cracker in der Hand hatte, kamen die Viecher wie Furien angaloppiert und belästigten mich ohne Rücksicht auf jegliche Verluste. Eines biss dann voller Verzweifelt in mein sowieso bereits ausgelaugtes und verwaschenes H&M Shirt. Ich wünschte Takahiro wäre zur Stelle gewesen. Aber der hätte sich bestimmt Sorgen um seine Klamotten gemacht. Yomiuri Shinbun Als wir dann von diesen finsteren Gestalten zuerst in einen Hinterhalt und dann beinahe in einen trüben Tümpel gedrängt wurden, biss mir doch tatsächlich noch eines dieser aufmüpfigen Rehe in die Nieren. Diszipliniert wie ich bin, bekam dieser auf der Stelle und bis auf weiteres kein Futter mehr von mir. Obwohl, besser ein Rehbiss als ein Schlangenbiss. Als der letzte Keks vergeben wurde, löste sich der Haufen so schnell auf wie er gekommen war. Offensichtlich war ich plötzlich nicht mehr interessant - für die Tiere. Stattdessen kam ein Journalist. Dieser arbeitete für die auflagenstärkste Zeitung Japans und wollte gerne eine Story über mich schreiben. Da war er bei mir gerade an der richtigen Adresse gelandet. Ich legte los: Philippinen, Startup, Vulkanausbruch, China, Flucht vor Virus, letztes Flugzeug, Flucht nach Manila, Nacht- und Nebel-Aktion und erneute Flucht. Dann Einreise in Japan nur wenige Tage vor der totalen Einreisesperre… Als ich mit der Dramaturgie fertig war, fiel mir ein, dass das Allerletzte was ich als besorgter Japaner in der häuslichen Quarantäne zu diesem Zeitpunkt gerne noch lesen wollte, ein Interview mit einem Ausländer wäre, der noch vor wenigen Wochen in China herum eierte und nun hier gutgelaunt aber unwissentlich die neuste Mutation des Fledermaus-Erregers streute. Ein Glück bekam ich nur einen Tag später eine E-Mail, dass die Story nicht abgedruckt wurde. Stattdessen durfte ich aber die Fotos behalten. Nara war definitiv eine Reise wert. Japanische Safari Der nächste Ausflug in unserem befrachteten Programm führte uns noch in derselben Woche zu einem malerischen Affenberg am Rande Kyotos. Dieser wurde erst gerade am Tag zuvor (nach der Fledermaus-Zwangspause) wiedereröffnet - dementsprechend alleine waren wir auch unterwegs. Nach einem kurzen Aufstieg staunten wir nicht schlecht, als hoch über Kyoto und bei umwerfender Aussicht dutzende kleine Makaken-Äffchen frei und in aller Leichtigkeit zwischen Baumwipfeln hin- und herturnten und sich gegenseitig in den saftig grünen Wiesen nachjagten. Zahlreiche Schilder warnten aber die Besucher, dass die Affen beissen können, und man daher auf keinen Fall Augenkontakt zu ihnen aufbauen sollte. Gebissen, bedroht und angegangen wurde ich in dieser Woche bereits oft genug, also folgt hier auch keine Geschichte über einen blutigen Machtkampf mit einem anderen Primaten. Und weil die Vorsicht bekanntlich die Mutter der Porzellankiste ist, marschierte ich den restlichen Nachmittag blind wie eine Fledermaus an sämtlichen Affen vorbei. Wie diese ausgesehen haben, kann ich daher nur rückblickend anhand der Fotos beurteilen. Diese findet ihr gleich hier unten. In diesem Sinne: „Klappe zu, Affe tot, endlich lacht das Morgenrot.“ E-Mail Benachrichtigung bei neuem Blog-Post aktivieren? Hier klicken
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Wer ich bin?Mein Name ist Andrin. Ich komme aus der Schweiz und stehe durchschnittlich zwei mal pro Jahrzehnt vor tektonischen Veränderungen in meinem Leben. |