Auf nach Kyoto Wir waren gerade dabei die letzten Kleidungstücke in unsere Koffer zu pressen, da hörten wir das Geräusch einer Sirene durch die offene Balkontüre hineinsirenen. Ein seltenes Ereignis. Sicherheitstechnisch scheint die Welt hier in Japan nämlich noch in Ordnung zu sein. Ausser der Polizei müllert hier auch keiner mit dem Toyota um die Bahnhöfe. Die Autos halten an den Fussgängerstreifen mit gefühlten 20 Meter Sicherheitsabstand. Auf den Philippinen dagegen konnte man beim Überqueren froh sein, lediglich die Abwärme und nicht das heisse Metall der Jeepneys an der Wade zu spüren. Das muss wohl an der guten Kinderstube der einheimischen Bevölkerung liegen - dachte ich mir. In der Schule und in der Familie werden Disziplin, Recht & Ordnung und Höflichkeit äusserst hochgehalten. Gerne würde ich das wieder zurück in die Schweiz bringen. Bei uns werden die neuen Kinder ja nur noch im Notfall erzogen. Ruhestörung Dann wieder eine Sirene. Und dann noch eine. Und noch eine. Als wir uns auf den Balkon verschoben, sahen wir aber keinen Banküberfall, sondern dass 100 Meter weiter der Strasse entlang ein Haus in Flammen stand. Gerne würde ich euch jetzt eine Heldengeschichte auftischen, wie ich als Ausländer - beherzt und ohne Furcht - im Inneren des Gebäudes noch die letzten Bewohner rettete und danach von den japanischen Zeitungen gefeiert und in den Orbit hoch geschrieben wurde. Abgesehen davon, dass wirklich noch Personen von der Feuerwehr aus den oberen Stöcken gerettet werden mussten und diese sich während der Rettung gleich selbst fotografierten, konnte ich aber nichts mehr machen. Badespass im Sento Es zeigte mir aber einmal mehr, dass das Unglück jeden von uns treffen kann. Daher sollte man bei allem Einsatz für die Arbeit auch nie vergessen das Leben zu leben. Das taten wir beispielsweise vorbildlich, indem wir etwa einmal in der Woche ein sogenanntes „Sento“ besuchten. Ein Sento ist ein traditionelles japanisches Badehaus, das mit Holz geheizt wird. Lange Zeit gab es in den eigenen vier Wänden wegen Feuerschutzbestimmungen keine privaten Badezimmer, daher gingen sich die Japaner regelmässig im Sento waschen. Unterdessen hat sich das natürlich geändert. Obwohl die Zahl der Besucher seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert stetig zurückging, ist der Badehausbesuch immer noch tief in der japanischen Kultur verankert. In Osaka gibt es zahlreiche Sentos. Und während der Corona-Zeit blieben diese zu unserer Freude weiterhin geöffnet. Deswegen folgt hier nun mein Erfahrungsbericht. Erfahrungsbericht 1 Die Abteile für Frauen und Männer sind getrennt. Zuerst sollte man sich gründlich waschen. Dafür stehen meist etwa 10 - 20 kleine Hocker zur Verfügung. Diese sind kaum grösser als eine ausgewachsene Hauskatze. Man sitzt dann also im Adamskostüm und krummem Rücken auf diesem Miniatur-Plastikhocker unter einer Wasserdüse, welche im Stehen maximal bis zum Bauchnabel reichen würde. Hat man sich nun gründlich eingeschäumt und das Fledermausvirus abgewaschen, darf man sich zu den zahlreichen Bäderbecken begehen. Diese sind aber entweder derart heiss oder derart kalt, dass man sich wohl oder übel zwischen Brandblasen und Frostbeulen entscheiden muss. Nach einer kurzen Angewöhnungszeit lässt es sich aber im Inneren durchaus einige Minuten entspannen. Deshalb kamen wir auch immer wieder gerne zurück. Allerdings suchten wir der Unterhaltung wegen immer wieder neue Badehäuser. Bis uns eines Tages etwas Seltsames ins Wasser sprang. Erfahrungsbericht 2 Ich muss etwas ausholen: Tätowierungen sind in den Badehäusern und auch in den Fitnesscentern streng verboten. Der Grund ist in der Geschichte der japanischen Mafia zu finden - der Yakuza - welche angeblich zwar bis in die höchsten politischen und wirtschaftlichen Ebenen ihre Finger im Spiel hat, deren Mitglieder aber traditionell mit eindrücklichen Vollkörper-Tattoos auffallen. Die Geschichte geht weit zurück. Im siebten Jahrhundert wurde der Rebell Hamako nicht mit dem Tod, sondern mit einem Tattoo bestraft. In den Jahren danach wurde es üblich, dass man die Kriminellsten zum Schutz der Bevölkerung brandmarkte, in dem man oftmals den Ort und die Tat auf die Haut ritzte. Für die Täter gab es folglich keinen Platz mehr in der Gesellschaft. Also fingen sie an, die Tattoos mit dekorativem Design zu übermalen. Als der Mexikaner und ich dann an diesem verregneten und kalten Sonntagabend nach der Arbeit per Zufall ein neues Sento entdeckten, waren wir noch voller Vorfreude. Die Umkleidekabine war menschenleer. Da wir bereits erfahren und geschult waren, ging alles relativ speditiv. Hosen aus, Kleider in den Spind, Schlüssel um das Handgelenk und dann ab in das Vergnügen. Im Dunstkreis Wir duschten erneut gründlich (um das über die Woche neueingefahrene Wuhan-Virus wieder aus den Haaren zu kriegen) und hüpften danach direkt in das kochende Becken. Wir entspannten unsere Glieder analog einem Hummer im Kochtopf. Gerade als ich dabei war meine Wirbelsäule wieder zurecht zu sprudeln, enterte ein japanischer Bulldozer mit Vollkörper-Tattoos das Becken. Das Wasser überlief und unsere Herzen fielen in die Hosen. Da wir aber keine anhatten, schwammen diese wahrscheinlich direkt den Abfluss hinunter und trauten sich bis heute nicht mehr zurück. Als wir genauer in den dampfverhangenen Baderaum blickten, stellten wir fest, dass hier noch ganz andere Typen der gleichen Rasse ihre „Arbeitswoche“ ausklingen liessen. Offensichtlich sind wir hier versehentlich in ein fremdes Nest gekrochen. Man muss sich das mal bildlich vorstellen. Néstor und ich kommen beide kaum über 60kg Körpergewicht. Der Typ hatte mindestens das Doppelte. Sein ganzer Oberkörper war voller bunter Drachen und mysteriösen Zeichen. Obwohl das Becken genügend Platz gehabt hätte, setzte er sich *Trommelwirbel* direkt neben mich. Holla die Waldfee, das, meine Lieben, war kein Zufall. Ich schaltete in den Krisenmodus und überlegte mir gleichzeitig bereits eine Beerdigungsstrategie. Was könnte ich ihm anbieten? Ein anonymes Bankkonto in der Schweiz? Bitcoins? Verhandlungen auf neutralem Boden? Leider hatte ich aber mal gelesen, dass wenn man das Krokodil füttert, man trotzdem gefressen wird. Daher würde das wohl ins Leere laufen. Das Hinterzimmer Eine Treppe führte direkt am Beckenrand hinauf zu einer Sauna, für welche man aus unerklärlichen Gründen extra bezahlen musste. Aus genauso unerklärlichen Gründen schien diese aber im Vergleich zur kostenlosen Sauna im Untergeschoss leicht überbevölkert zu sein. Immer mehr und mehr der tätowierten Kleiderschränke stolzierten am Pool vorbei die Treppe hoch - wo offensichtlich die Musik spielte. Mir schien es, als würde dort gerade ein Konklave der Organhändler oder sowas stattfinden. Dann fing Hamako mit mir zu sprechen an. Ich mach es kurz, natürlich war auch das ein lieber Kerl. Obwohl es mir auf der Zunge lag, wagte ich es nicht ihn auf die potentiellen Yakuza-Verbindungen anzusprechen. Ein altes Sprichwort besagt, man solle nie schlafende Hunde wecken. Den restlichen Abend verbrachten wir folgedessen im Modus Vivendi zwischen der karg-bevölkerten Sauna und dem Sündenpool. Bis heute lässt es mich aber nicht los. War er nun einer oder war er keiner…? Die Hungersnot Rückblickend kann man sagen, wir kamen uns vor wie zwei unterernährte Enten, welche sich gerade in den falschen Teich verirrt hatten. Aber die Nahrungssuche in dieser kargen Jahreszeit mit nur wenig offenen Restaurants war zugegebenermassen auch wirklich etwas schwierig. Obwohl man es mir äusserlich nicht ansieht, ich esse etwa das Doppelte einer normalen ausgewachsenen Person. Mein Ziel war es daher immer, ein Restaurant zu finden, welches sich weniger auf Gourmet und etwas mehr auf Nahrung fokussieren würde. Dann, eines Abends, standen zwei japanische Knaller-Damen vor einer traditionellen Speiselokalität in der doch überraschend belebten Innenstadt. Sie hielten ein Bund an Glückslosen in der Hand. Da die Speisekarte ansprechend aussah und wir uns bereits entschieden hatten es auszutesten, nahmen wir selbstverständlich auch an der Verlosung teil. Wie man so schön sagt: „Wer nichts gewinnt - der nicht gewagt!“. Ich zog das Los - und die Frauen jubelten. Angeblich hätte ich einen Broccoli gewonnen - übersetzten sie. Lesen konnte ich es sowieso nicht aber gefreut habe ich allemal. Nase läuft. Die Nase Satans Den Jackpot knackte ich dann aber an einem anderen Tag. Wochenlang war ich auf der Suche nach einem Restaurant, welches wie zuhause eine riesige Schüssel Pasta auf den Tisch stellen würde. Ich könnte mich hinsetzten und würde satt und überglücklich wieder aus der Lokalität hinausspazieren - ohne gesalzene Rechnung für die extra Beilage. Und dann betrat ich dieses familiengeführte Nudel-Restaurant und bestellte die grosse Portion Ramen (Nudelgericht). Mehrmals fragte der Koch, ob ich wirklich sicher sei, da die grosse Portion wahrhaftig riesig daherkommen würde. Zur Verdeutlichung streckte er mir dann letztlich noch die zugegeben gewaltige Schüssel entgegen. Ich warf einen Blick darauf. Heute sind wir gut befreundet. Die Unterkunft Im letzten Monat verbrachten wir vermehrt Zeit in den eigenen vier Wänden. Immer mal wieder klapperten wir aber einige der Touristenattraktionen ab. Die zahlreichen Tempel, der Kaiserpalast, die alten Burgen. Kyoto kann sich wirklich sehen lassen. Aber auch unsere Unterkunft war klasse. Mit etwa 18 (!) verschiedenen Lichtschaltern war es aber manchmal etwas schwer, das gewünschte Licht beim ersten Versuch ein- oder auszumachen. Und wer übrigens beim geplanten Japan-Urlaub glaubt im Badezimmer für die morgendliche Dusche nicht auf diesen hauskatzen-grossen Schemmel sitzen zu müssen, der sehe sich getäuscht. Der Schlauch reicht in den meisten Unterkünften nicht über den Kopf. In diesem Sinne. Tschüss ihr Mäuse. E-Mail Benachrichtigung bei neuem Blog-Post aktivieren? Hier klicken
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1 Comment
Mitko
24/6/2020 13:28:44
Toll! Ich hoffe, Sie haben eine tolle Zeit in China verbracht!
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Wer ich bin?Mein Name ist Andrin. Ich komme aus der Schweiz und stehe durchschnittlich zwei mal pro Jahrzehnt vor tektonischen Veränderungen in meinem Leben. |